Linde Hartmann

Malerei

Schloss Wiligrad

Schloss Wiligrad
33. Kunstbörse Schloss Wiligrad - 11. 11. bis 21.12.2023 und 02. bis 14.01.2024

Linde Hartmann Linde Hartmann studierte in den 80er Jahren Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Prof. Heisig und Prof. Stelzmann.

Aus Unzufriedenheit mit der provinziellen Enge der DDR und der fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft, die sie vor allem ihrem in dieser Zeit geborenen Sohn ersparen wollte, stellte Linde Hartmann 1984 gemeinsam mit ihrem Mann einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik.
Nach vier Jahren Wartezeit wurde dem Antrag überraschend stattgegeben und Linde Hartmann konnte mit ihrer Familie die DDR verlassen.

Die Arbeiten von Linde Hartmann aus den Jahren 1983 bis 1988 sind ein eindrucksvolles Dokument einer expressiven persönlichen Auseinandersetzung mit den auferlegten Zwängen und einem Lebensgefühl in der Zeit des beginnenden Umbruchs in der DDR..

Seit 1988 lebt und arbeitet Linde Hartmann in Hamburg, seit 2023 im mecklenburgischen Dorf Kukuk.

In ihrer Malerei finden wir die Rückbesinnung auf Vergangenes und den Blick auf die Natur als Gegenpol zur technisierten urbanen Lebenswelt.

Fragen der Wahrnehmung, Fragen der Aneignung und Interpretation von Wirklichkeit und deren Verarbeitung mit künstlerischen Mitteln werden immer deutlicher zu einem bestimmenden Diskurs.
„Es freut mich immer wieder, wenn ich mich selbst überraschen kann, indem ich etwas sehe, was ich vorher so noch nicht gesehen habe."
Und bei allen Fragen, die sie umtreiben, bleibt Linde Hartmann eine Malerin, die sich in ihrer Neugier und in ihrer Freude an der immer neuen malerischen Erfindung allen Strömungen und Markenbildungen verweigert und sich in ihren Bildern immer wieder neu erfindet.

Aufbegehren

Malen in der Zeit der „Wende“
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Aufbegehren – Malerei als Lebensgefühl

Die offizielle DDR-Kunst der 1980er Jahre war im Wesentlichen geprägt vom Dogma des Sozialistischen Realismus. Eine routiniert gegenständliche Malerei, deren Aufgabe es war, die ideologische Sicht des Staates auf die Gesellschaft zu stützen und zu illustrieren.

Die Malerei von Linde Hartmann will etwas anderes. Ihre Antwort auf Zwang und Stagnation ist eine Kunst, die sich an den Verhältnissen reibt, die aufbegehrend, lustvoll und impulsiv gegen die Enge arbeitet. In ihren Arbeiten bricht sie bewusst und offensiv die erlernten Regeln, drängt mit kraftvoller Geste an die Grenzen ihrer Existenz und über die Grenzen des Formats hinaus.
So spiegelt sich in der Dynamik und spannungsreichen Vielschichtigkeit der Bilder von Linde Hartmann exemplarisch ein Zeitgefühl der DDR der 80er Jahre, eine gesellschaftliche Stimmung im Spannungsfeld zwischen dem Machtanspruch einer verknöcherten politischen Funktionärskaste und dem Ruf nach Öffnung, Demokratisierung, nach „Glasnost“.

Folgerichtig lautet der Titel eines der ersten Bilder, in dem Linde Hartmann den Bruch mit dem von der Leipziger Hochschule vorgegebenen Malstil offenbart: „Fürchte dich nicht“.

Was folgt, ist kein vorsichtiges Suchen, sondern der direkte, aus dem Körperlichen übersetzte Ausdruck eines kraftvollen Aufbegehrens. Die Malerei wird zur unmittelbarsten, fesselndsten Darstellung eines Kampfes und eines Umbruchs, der den Betrachter bis heute in seinen Bann zieht.

Wer das Gesamtwerk von Linde Hartmann einordnen und in eine kunsthistorische Schublade stecken will, hat es nicht leicht. Bei der Betrachtung eröffnet sich ein breites Spektrum unterschiedlicher malerischer und künstlerischer Ansätze.
Die erste Erkenntnis lautet: Hier ist die Veränderung das Verbindende. Linde Hartmann wehrt sich offensichtlich dagegen, einmal gefundene Lösungen zu wiederholen und damit eine standardisierte Formensprache im Sinne einer Marke aufzubauen.

Ein übergreifendes Element ihrer Malerei ist ein die Bildgrenzen sprengender malerischer Duktus, der stark von einer spannungsgeladenen zeichnerischen Herangehensweise geprägt ist.

Im Koordinatensystem von Malerei, Zeichnung und Collage offenbart sich bei näherer Betrachtung die allen Arbeiten zugrunde liegende Motivation, einem zeitgebundenen Lebensgefühl Ausdruck verleihen zu wollen. Unter der Oberfläche einer intensiven und meist expressiven Auseinandersetzung mit Farbe und Form finden sich eingeschriebene Emotionen, Widersprüche und Konfigurationen, die den Betrachter zu immer neuen Interpretationen des Werkes herausfordern.


Ansgar van Zeul, 2002



Only Dogs

Der Hund mit uns und in uns
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Hunde? Hunde!


Linde Hartmann nennt einen Großteil ihrer künstlerischen Produktion der Jahre 2007-2009 „Spiel mit dem Hund“ und fragt: Wie sehe, interpretiere und bewerte ich ein lebendes Gegenüber; welche Möglichkeiten bietet die Malerei für eine solche Untersuchung?

Auch wenn wir immer nach etwas Geschlossenem, Einheitlichem, Verlässlichem, Festem suchen, beeinflussen und verändern Konvention, Zeit und zielgerichtetes Vorgehen ständig unsere Wahrnehmung.

Um diese Bedingtheit der Wahrnehmung, um die verschiedenen Facetten der Betrachtung eines Gegenübers oder einer Situation geht es Linde Hartmann in diesen Arbeiten.

Der Hund ist dabei das Medium der künstlerischen Auseinandersetzung. Als ältester tierischer Begleiter des Menschen, keine Person, aber auch keine Sache, kann der Hund eine Distanz und Nähe vermitteln, die den Betrachter spiegelt und auf seine Individualität verweist.

Angesichts unserer Ambivalenz dem Tier gegenüber, unserer Sicht auf das Tier, die je nach Standpunkt sehr diametral sein kann, die zwischen großer Fremdheit und tiefer Vertrautheit wechseln kann, stellt sich die Frage, wer und wie wir sind.

Gedreht und gewendet, aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet und in die unterschiedlichsten Kontexte gestellt, verändert sich die Formensprache der Bilder immer wieder. Sie ist jeweils dem spezifischen Blick geschuldet.

Auch der Formenvorrat „Hund“ lädt zum Spiel ein, ist Ausgangspunkt für ein Spektrum unterschiedlicher und gleichzeitiger Formulierungen.

All diese unterschiedlichen Herangehensweisen stellen die Frage nach dem fragilen Verhältnis von Objektivem, Subjektivem und Realem. Sie ermöglichen immer wieder neue Zugänge und fordern dazu heraus, eingefahrene Sichtweisen zu hinterfragen.
In diesem Sinne ist das „Spiel mit dem Hund“ nicht weniger als ein sehr persönliches Angebot zur Reflexion über unseren Blick auf die Gegenwart.

Ansgar van Zeul, im Februar 2009

Ausstellung
Kunstraum Farmsen

Lustwandeln

Über das Gehen und Sehen
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„Lustwandeln“, die fast vergessene Kunst des gemächlichen und absichtslosen Streifens durch die Landschaft, dieser Titel verbindet als Metapher alle hier gezeigten Arbeiten.

Schnelligkeit und Zielfixierung schränken unsere Wahrnehmung oft ein, und Fragen der Wahrnehmung sind immer wieder Thema der Künstlerin Linde Hartmann.

Im Lustwandeln entkoppeln sich Raum und Zeit, Bilder entstehen und vergehen. Diese Art der Fortbewegung steht in krassem Gegensatz zum vorherrschenden Rhythmus unserer auf Effizienz und maximalen Output ausgerichteten Welt.

Bei Linde Hartmann kann es der immer wiederkehrende Blick auf eine Mahonie vor dem Fenster sein. Er vermischt sich zu unterschiedlichen Zeiten mit ebenso unterschiedlichen inneren Bildern und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten der Wahrnehmung des Augenblicks.

Wie in einer Versuchsanordnung reiht sie Bild an Bild, denen die immer gleiche lineare Grundkonstruktion zugrunde liegt. Und ein Spiel beginnt: die Bewertung von Gegenstand und Hintergrund, von Fläche und Form.

Positiv- und Negativformen wechseln ebenso wie die Farbpalette. Immer neue Assoziationsketten bilden sich. Das Bild als Ausgangspunkt und Projektionsfläche zugleich.

Schon in der vorangegangenen Serie „Only Dogs“ spielt Linde Hartmann mit Wahrnehmung und Ausdruck. Dort jedoch, indem sie ihren Blickwinkel immer wieder verändert. Das Ergebnis sind Bilder, die sich auch formal der veränderten Sichtweise anpassen.

Ein weiterer Aspekt der Arbeit von Linde Hartmann ist die Vielschichtigkeit des Sehens. Das Bild, das wir uns machen, ist nicht das Ergebnis eines isolierten optischen Prozesses wie etwa der Fotografie. Wir konstruieren die Welt und in unser Sehen sind alle sinnlichen Erfahrungen eingeschrieben.
So finden wir in dem großformatigen Bild "Lustwandeln", das der Werkgruppe den Titel gibt, eigentümlich in der Bewegung verharrende Figuren, jede in einer individuellen und zugleich stilisierten Formulierung zwischen Kontemplation und Expression. Über dem Bildgrund spannt sich als zweite Ebene wie ein Netz eine Vielzahl kleiner Formen. Sie überlagern sich, wirbeln und flirren, tanzen und taumeln und verweisen auf die Komplexität des Sehens.

Diese Strukturen verändern die darunter liegenden Farbflächen, indem sie mit ihnen in Beziehung treten, sie unterordnen, aber auch aufladen und mit ihrer Energie anreichern. Durch die aufwendigen filigranen Überzeichnungen wird die Zeit im Malprozess ganz konkret in das Bild eingeschrieben.

Lustwandeln ist der Titel, unter dem diese Bilder versammelt sind, aber auch die Umkehrung dieses Begriffs trifft auf die Arbeiten zu: Wandellust.
Die Lust an der Veränderung ist Programm im Werk von Linde Hartmann. Diese Lust an der Veränderung, an der spielerischen Verwandlung speist sich aus der Freude, in einem künstlerischen Prozess Entdeckungen zu machen und die Vielzahl, aber auch die Bedingtheit der Umsetzungsmöglichkeiten, die einem Sujet innewohnen, zum Vorschein zu bringen.

Auf diese Weise werden wir als Betrachter immer wieder überrascht und aufgefordert, verfestigte Betrachtungsweisen zu hinterfragen und an der Lust am Wandel teilzuhaben.


Ansgar van Zeul, April 2011